Zum Youtube Video
Bremerhaven, die raue Perle an der Nordseeküste, steht vor einem Wandel. Wo einst das Karstadt-Warenhaus in der Bürgermeister-Smidt-Straße die Innenstadt prägte, soll ein neues Herz schlagen: das „Novo Bremerhaven“. Ein ambitioniertes Projekt, das die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf reißen will – oder ein weiterer Fall von zu großen Träumen in einer Stadt, die ihre Chancen verschläft? Ein kritischer Blick auf die Pläne, die Vergangenheit und die Zukunft des ehemaligen Karstadt-Geländes.
Karstadt: Symbol einer vergangenen Ära
Als Karstadt 1960 in Bremerhaven eröffnete, war es mehr als ein Kaufhaus. Es war ein Versprechen von Wohlstand, ein Magnet für die Seestadt, die sich von ihrer Werften-Vergangenheit emanzipieren wollte. Doch die Zeiten änderten sich. Die Pandemie, der Online-Handel und die Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof trafen Bremerhaven hart. Im Dezember 2020 schloss die Filiale für immer – ein Schock, der die Innenstadt in eine Geisterstadt zu verwandeln drohte. 16 Läden in der angrenzenden Hafenpassage wurden mitgerissen, darunter DM und lokale Imbisse. Das Gebäude, einst ein „fauler Zahn“ (Oberbürgermeister Melf Grantz), verfiel zum Symbol für den Niedergang der Innenstadt.
Die Stadt reagierte: 2021 kaufte sie den Komplex für 15 Millionen Euro von einem Immobilienfonds, finanziert zu 12,5 Millionen vom Land Bremen. Der Plan? Abriss und Neuanfang. Doch der Weg dorthin war steinig. Asbestfunde verzögerten den Rückbau, und gescheiterte Investorendeals – etwa mit der H.H. Wohnprojekt 24 GmbH – ließen Zweifel an der Umsetzungskraft der Stadt aufkommen.
Novo: Ein „offenes Wohnzimmer“ für Bremerhaven?
Nun hat das Kind einen Namen: „Novo Bremerhaven“. Bis 2029 soll auf dem Ex-Karstadt-Grundstück ein innovatives Zentrum entstehen, das eine Stadtbibliothek und eine Jugendherberge vereint – ein Konzept, das in Deutschland einzigartig ist. Laut Magistrat soll das Novo ein „offenes Wohnzimmer“ werden, lichtdurchflutet, mit hohen Räumen, Gastronomie und einem MINT- und Geschichtenlabor im Erdgeschoss. Eine Sichtachse zu den Havenwelten soll die Innenstadt mit dem Tourismus verbinden. Der Name „Novo“, angelehnt an „Novum“ und „erneuern“, verspricht Weltoffenheit à la „Dokk1“ in Aarhus oder „Oodi“ in Helsinki.
Die Zahlen klingen ambitioniert: 250 Betten in der Jugendherberge, Platz für Schulklassen, Tagungen und Familien, finanziert ohne öffentliche Zuschüsse. Die Stadtbibliothek, deren Mietvertrag im Hanse Carré 2029 ausläuft, soll ein moderner Lernort werden. Kosten? Noch unklar. Oberbürgermeister Grantz setzt auf Mieteinnahmen und die Vorfinanzierung durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Stäwog. Doch die Machbarkeitsstudie, im April 2025 vorgestellt, zeigt: Der Abriss, der im Mai 2025 beginnt, ist nur der Anfang.
Provokante Fragen an die Seestadt
Die Pläne klingen verlockend, doch Bremerhaven hat eine Tradition, große Visionen in Bürokratie und Lethargie zu ersticken. Warum eine Jugendherberge in einer Stadt, die bereits eine hat? „Schwachsinn“, schimpft ein Nutzer auf Facebook, und schlägt stattdessen ein 50er-Jahre-Museum vor, das Touristen anziehen könnte. Andere kritisieren die mangelnde Bürgerbeteiligung – Grüne und Linke sehen die Pläne als intransparent. „Warum nicht die Bibliothek im Hanse Carré lassen?“, fragt eine Bürgerin. „Was haben wir von einer Herberge in der Fußgängerzone?“
Die Skepsis ist berechtigt. Bremerhavens Innenstadt kämpft mit einem Besucherrückgang von 15 % seit 2019 (Handelskammer Bremen). Das bestehende Einkaufszentrum Novo, nur wenige Straßen entfernt, ist ein Mahnmal für verpasste Chancen: Leerstände, graue Fassaden, keine Events. Wird das neue Novo anders? Oder wird es ein weiterer Betonklotz, der die Stadt belastet? Und warum ignoriert die Stadt den Wunsch vieler Bremerhavener, Teile des 1959er-Ursprungsbaus zu erhalten, der mit einem Architektenpreis ausgezeichnet wurde? Der Magistrat winkt ab: Zu teuer, zu kompliziert.
Ein Funke Hoffnung oder ein weiterer Fehltritt?
Trotz aller Kritik gibt es Lichtblicke. Der Bürgerdialog im April 2025 zog über 150 Menschen ins Auswandererhaus – die Bremerhavener interessieren sich für ihre Stadt. Projekte wie die „Lange Bandnacht“ zeigen, dass die Innenstadt leben kann, wenn man sie lässt. Und das Novo-Konzept, mit seiner Mischung aus Kultur, Bildung und Tourismus, könnte tatsächlich ein Anker werden – wenn es richtig umgesetzt wird. Grantz verweist auf Oldenburg oder Groningen, wo ähnliche Projekte die Innenstädte belebten. Doch Bremerhaven ist nicht Oldenburg. Hier leben mehr Menschen am Rand der Armutsgrenze als anderswo in Deutschland. Kann ein Prestigeprojekt wie das Novo die Stadt retten, wenn die Grundprobleme ungelöst bleiben?
Fazit: Bremerhaven, wag es!
Das Novo Bremerhaven ist ein Wagnis – und das ist gut so. Die Stadt braucht mutige Ideen, um aus dem Schatten ihrer Vergangenheit zu treten. Doch Mut allein reicht nicht. Ohne transparente Bürgerbeteiligung, klare Finanzpläne und ein Konzept, das die Innenstadt wirklich belebt, droht das Novo ein weiteres leeres Versprechen zu werden. Bremerhaven steht am Scheideweg: Wird es das Karstadt-Erbe abschütteln und ein neues Kapitel aufschlagen? Oder bleibt es die Stadt, die ihre Chancen verschläft? Die Bürger verdienen Antworten – und Taten.
Quellen:
Nordsee-Zeitung (25.04.2025), buten un binnen (17.04.2025, 18.04.2025),
Handelskammer Bremen (2024), nord24.de, nwzonline.de, rnd.de